Das Doppelleben von MSL

Ein neuer Aspekt des epigenetischen Regulator MSL1

16. Mai 2016

Die Genexpression ist der Prozess, bei dem die genetische Information verwendet wird, um Proteine zu erzeugen, die wesentlich sind für das Funktionieren der Zelle. Dies erfordert ein koordiniertes Zusammenspiel zwischen verschiedensten Faktoren. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg (MPI-IE) zeigen nun, dass auch MSL1, ein Regulator bekannt aus der Dosiskompensation auf dem X Chromosom bei Fliegen, Einfluss auf die Genregulation in anderen Chromosomen hat. Die Studie erscheint in der Mai 2016-Ausgabe von Nature Structural & Molecular Biology.

Oftmals sind wir erstaunt, wenn wir das unerwartete Doppelleben eines nahen Freundes aufdecken. Vor allem dann, wenn wir glaubten ihn gut zu kennen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg haben einen solchen Freund. Seine Name ist „MSL-Komplex“ und den Forschern ist es nun gelungen, eine erstaunliche neue Facette seiner „Persönlichkeit“ zu entdecken.

Bei dem MSL-Komplex (engl. male-specific lethal) handelt es sich um eine Gruppe von Proteinen und nicht-kodierender RNA, die in Fliegen den wichtigen Prozess der sogenannten Dosiskompensation regulieren. Dosiskompensation stellt sicher, dass bei Männchen (XY) und Weibchen (XX) trotz unterschiedlicher Anzahl an X-Chromosomen, die gleiche Menge an Proteinen von den Genen des X-Chromosoms synthetisiert wird. Das Labor von Asifa Akhtar erforscht dabei die Rolle des MSL Komplexes. Dieser ist ein wichtiger Akteur der Dosiskompensation bei Drosophila melanogaster. Das alltägliche Leben des MSL-Komplexes besteht darin, im männlichen Geschlecht die Transkription des einfachen X-Chromosoms zu verdoppeln, so dass die Gesamtgenexpression zwischen den beiden Geschlechtern ausgeglichen ist. 

Nun ist es Forschern des MPI-IE in einer kollaborativen Studie gelungen, das bisher unbekannte, zweite Leben von MSL1, eines der fünf Proteine des MSL-Komplexes, aufzudecken. Frühere Studien vermuteten schon, das MSL1 zusätzlich zu dessen bereits bekannter Rolle im Rahmen der Dosiskompensation auf dem X Chromosom auch in der generellen Genregulation eine Rolle zukommt. Denn MSL1 wird nicht nur auf dem X-Chromosom gefunden, sondern auch auf anderen Chromosomen.

Durch die Kombination sogenannter ChIP-Experimente, also Methoden zur Bestimmung von Protein-DNA-Interaktionen, mit weiteren biochemischen und genetischen Verfahren waren die Forscher in der Lage nachzuweisen, dass MSL1 mit dem Enzym CDK7 interagiert. Das Enzym hat große Bedeutung vor allem während der ersten Phasen der Genexpression. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass eine Verringerung von MSL1 zu einer weniger effizienten Phosphorylierung der RNA-Polymerase führt, die von dem Enzym CDK7 bewirkt wird. Dadurch wird zugleich die Transkriptionsleistung der von MSL1 gebundenen Gene reguliert.

„Aufzudecken, dass MSL1 einen generellen Einfluss auf die Phosphorylierung der RNA-Polymerase II hat, war sehr aufregend, denn damit sahen wir noch eine generellere Funktion des Proteins, die wir so vorher nicht erwartet hatten“ sagt Asifa Akhtar. Bei der weiteren Untersuchung dieser anderen Facette von MSL1 fanden die Forscher auch heraus, dass MSL1 nicht nur mit CDK7 im Rahmen der generellen Genregulation interagiert, sondern auch das CDK7 das Protein MSL1 phosphorylieren kann. Dies deutet darauf hin, dass das Enzym CDK7 zugleich notwendig ist, damit der MSL-Komplex seine Funktion bei der Dosiskompensation erfüllen kann. „Mehr über die Verbindung von MSL1 zu CDK7 in Erfahrung zu bringen, änderte auch unsere Sicht auf MSL1 selbst“, sagt Maria Samata, eine der Erstautorinnen der Studie.

„Die beiden Facetten von MSL1 scheinen eng miteinander verbunden zu sein. Wir vermuten, dass die beteiligten Proteine in einer dynamischen Beziehung zueinander stehen. Auf der einen Seite braucht MSL1 im Rahmen seines Alltags bei der Dosiskompensation die Beteiligung von CDK7; auf der andere Seite ist MSL1 an der Rekrutierung von CDK7 an gemeinsamen Genzielen beteiligt, die sich eben nicht auf dem X-Chromosom befinden“, erklären die Erstautoren der Studie Sarantis Chlamydas und Herbert Holz.

Sowohl das alltägliche Leben von MSL1 in der Dosiskompensation als auch das bisher unbekannte Leben von MSL1 in der allgemeinen Genexpression müssen noch eingehender erforscht werden. Das Team will weitere Parameter beider Proteine studieren, um mehr Einblick in deren Wechselwirkung zu erhalten. Es scheint sich also zu bewahrheiten, dass das Aufdecken einer neuen Facette eines alten Freundes nicht nur überraschend, sondern wie im Falle von MSL1 auch sehr spannend sein kann.

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