Lymphoide Zellen regenerieren in der Lunge

Forscher erstellen einen Zellatlas von lymphoiden Zellen des angeborenen Immunsystems und entdecken, dass diese im Lungengewebe erneuert werden

30. September 2020

Wenn Würmer die Atemwege befallen, reagiert der Körper mit einem auch für Asthma typischen Reaktionsmuster: Verkrampfen der Bronchien, erhöhte Schleimproduktion und starkem Husten. Ein wichtiger aber noch unvollständig verstandener Akteur dieser Wurm-Abwehr oder anderer Immunfunktionen sind die lymphoiden Zellen des angeborenen Immunsystems (ILCs). Es wird angenommen, dass ILCs während der ersten Tage nach der Geburt entstehen; allerdings war bislang kaum erforscht, welche Untergruppen von ILCs existieren und wie diese im Laufe des Lebens regeneriert werden. Ein Forschungsteam bestehend aus WissenschaftlerInnen des MPI für Immunbiologie und Epigenetik Freiburg und der Universität Würzburg hat nun erstmals einen umfassenden „Zellatlas“ von ILCs in der Lunge veröffentlicht. Mithilfe der Einzelzellsequenzierung und Methoden des maschinellen Lernens gelang die Entdeckung zirkulierender und geweberesidenter ILC-Vorläuferzellen, welche ihre Entwicklung und Reifung innerhalb der Lunge vollziehen. Die Forscher konnten überdies zeigen, dass während einer parasitären Wurminfektion in der Lunge ILCs aus eingewanderten Vorläufern heranreifen und somit bereits vorhandene Zellpopulationen in der Bekämpfung der Infektion unterstützen.

Das Immunsystem ist mit zahlreichen Zelltypen ausgestattet, die effektiv die verschiedenen Krankheitserreger bekämpfen, mit denen der Mensch im Laufe seines Lebens in Kontakt kommen kann. Dazu besitzen beispielsweise T-Zellen einen Rezeptor, durch den sie Antigene spezifisch erkennen und binden können. In den letzten Jahrzehnten wurden aber auch immer wieder Zelltypen mit ähnlichen protektiven Eigenschaften entdeckt, die keinen spezifischen Antigenrezeptor besitzen.

So identifizierte die Wissenschaft erst vor wenigen Jahren eine Gruppe von Lymphozyten, sogenannten „innate lymphoid cells“ (ILCs), die zu den wichtigsten Akteuren der körpereigenen Immunabwehr gehören und wesentlich zur Bekämpfung von Krankheitserregern sowie zur Gewebeinstandhaltung und -reparatur beitragen. Anders als etwa T-Zellen patrouillieren ILCs nicht im Blutkreislauf, sondern sind vorwiegend geweberesidente Zellen. Man findet ILCs im Knochenmark, in den Lymphknoten und typischerweise in Geweben mit Schleimhäuten, wie dem Darm und der Lunge.

Ambivalente Rolle der ILCs in der Immunabwehr

Größe und Zusammensetzung der ILC-Population variieren dabei stark von Gewebe zu Gewebe und verändern sich substantiell während der Immunabwehr. Typ-II-ILCs, kurz ILC2, stellen die dominierende Gruppe von ILCs in der Lunge dar. Sie unterstützen die Immunität der Schleimhäute, wirken bei der frühen Abwehr von Wurminfektionen mit und spielen eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Wiederherstellung von beschädigtem Gewebe nach Infektionen. Andererseits tragen ILC2s auch wesentlich zur Pathologie von allergischen Atemwegsentzündungen wie etwa Asthma bei.

Wie in anderen Geweben, vermehren sich ILC2s in den ersten Tagen und Wochen direkt nach der Geburt. Ein Anteil dieser frühen Zellen bleibt während des ganzen Lebens in der Lunge erhalten. Jedoch können ILC2s auch in späteren Lebensstadien gebildet sowie aus anderen Organen in die Lunge rekrutiert werden. Dies passiert sowohl im gesunden Zustand als auch während Infektionen. Bislang war es weitgehend unklar, ob neu eingewanderte Zellen aus anderen Geweben in der Lunge eine spezifische Funktion ausüben oder einzig aus dem Grund einwandern, um verbrauchte Zellen zu ersetzen.

Zellatlas der ILC2s der Lunge

Um die lokalen Populationen der Lunge sowie die einwandernden Zellen zu erforschen, und um zu verstehen, wie diese während des Erwachsenenlebens regeneriert werden, haben sich WissenschaftlerInnen des Freiburger Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik und des Instituts für Systemimmunologie Würzburg, unter der Leitung von Dominic Grün und Georg Gasteiger, mit WissenschaftlerInnen aus New York und Marseille zusammengetan.

Die ForscherInnen nahmen nicht nur gesundes Lungengewebe von Mäusen kurz nach der Geburt und im Erwachsenenalter in Augenschein, sondern untersuchten die Zellen auch im Laufe einer Infektion mit einem parasitären Wurm. Das Resultat ist ein umfassender Zelltyp-Atlas von ILC2-Populationen im Knochenmark und in der Lunge.

Dabei entdeckten die ForscherInnen eine neue Population von ILC-Vorläuferzellen. Diese sitzen im Lungengewebe, können aber auch durch einwandernde Zellen ergänzt werden. Sie besitzen das Potential, das gesamte Spektrum der ILC2-Untergruppen mit verschiedenen Funktionen während der Wurminfektion auszubilden.

Zellplastizität als Antwort auf sich änderndes Gewebe

„Unsere Forschung konnte aufzeigen, wie die ILC-Population in der Lunge aufrechterhalten wird. Wir entdeckten, dass Vorläuferzellen, welche aus anderen Organen über das Blut zur Lunge rekrutiert werden, sich an das Milieu der Lunge funktionell anpassen. Sie sind in der Lage ihre Genexpression so zu modulieren, um zu funktionstüchtigen ILC2s heranzuwachsen, die sich kaum mehr von der lokalen ILC2-Population im Gewebe unterscheiden. Dies ist ein aufregendes Beispiel der Plastizität von Immunzellen als Antwort auf eine sich ändernde Gewebeumgebung,“ erklärt Dominic Grün, Max-Planck-Forschungsgruppenleiter und Forscher am CIBSS - Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg.

Zudem gelang es in der im Wissenschaftsjournal „Immunity“ veröffentlichten Studie, ein hoch aufgelöstes „Kontinuum“ an ILC-Entwicklungsstadien zu beschreiben, das Vorläuferzellen mit verschiedenen, bereits ausgereiften und spezialisierten ILC-Zelltypen verbindet, die während einer Infektion unterschiedliche Funktionen ausüben und zum Teil bislang unbeschrieben waren.

„Damit konnten wir in noch nie dagewesener Weise die Komplexität der Funktionen von ILC2s aufzeigen und gleichzeitig Rückschlüsse über ihre Entstehung und Entwicklung ziehen”, erklärt Patrice Zeis, Erstautor der Studie. Die ForscherInnen kombinierten dafür die sogenannte Einzelzellsequenzierung und maschinelles Lernen mit eigens programmierten Algorithmen. So gelang es ihnen, für tausende ILCs in der Lunge jeweils eine Art Fingerabdruck zu erstellen, der mehr über die Zellidentität, die Zellfunktion sowie über die Verwandschaftsbeziehungen der Zellen zueinander im Modellorganismus verrät.

„Die dadurch erarbeiteten Konzepte der Gewebedifferenzierung und -anpassung von ILC2s könnten zukünftig zur Entschlüsselung der Rolle dieses Zelltyps bei Entzündungserkrankungen beitragen und natürlich auch auf andere Immunzelltypen angewendet werden“, erläutert Patrice Zeis.

PZ/DG/MR

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