Langsame Wanderer

Mastzellen nutzen Zelladhäsionmoleküle, um sich im Gewebe in Stellung zu bringen

20. April 2023

Mastzellen sind im Gewebe ansässige Immunzellen, die als Wächter fungieren und auf schädliche Reize reagieren, indem sie andere Zellen alarmieren. Berüchtigt sind sie aber eher für die unerwünschten allergischen Reaktionen, die sie auslösen können. Forscherinnen und Forscher am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg zeigen, dass Mastzellen Zelladhäsionsmoleküle nutzen, um sich durch das Anheften an der extrazellulären Matrix fortzubewegen. Dadurch wandern sie für Immunzellen ungewöhnlich langsam durchs Gewebe. Diese Art sich im Gewebe zu positionieren, macht Mastzellen einzigartig unter der Vielzahl von Immunzellen in unserem Körper.

Mastzellen und Freiburg verbindet eine lange Geschichte. Im Winter 1876 entdeckte der Medizinstudent und spätere Nobelpreisträger Paul Ehrlich am Anatomischen Institut in Freiburg den Zelltyp. Als er die Zellen unter dem Lichtmikroskop untersuchte, fielen ihm die vielen gefüllten Membranbläschen im Inneren auf. Diese Kügelchen verleiteten ihn fälschlicherweise zu der Annahme, dass es sich um überernährte Zellen handelte, und so nannte er sie „Mastzellen“ (von mästen). Obgleich die von Ehrlich beobachten „Granula“ keine Nahrungsspeicher sind, hat sich der Name bis heute gehalten

Die Wissenschaft erkannte jedoch bald, dass Mastzellen diese Granula produzieren, um eine Fülle von entzündungsfördernden Substanzen zu speichern, die bei Kontakt mit verschiedenen potentiell gefährlichen Signalen aus unserer Umwelt freigesetzt werden können. Bei Freisetzung lösen sie eine entzündliche Abwehrreaktion aus, die oft mit Gewebsschwellungen einhergeht und andere Immunzellen aus unserem Blut zu Hilfe ruft. So sind diese langlebigen Immunzellen ein wichtiger Teil unseres Immunsystems. Leider reagieren die Mastzellen bei vielen Menschen auch auf scheinbar harmlose Umweltfaktoren, die dann als Allergene wirken. Dies führt ebenfalls zur Freisetzung der gleichen entzündungsfördernden Stoffe und zur Auslösung von allergischen oder anaphylaktischen Reaktionen, für die Mastzellen wohl am besten bekannt sind.

Mastzellwanderung durch Gewebe

Zeitrafferaufnahme einer Mastzelle, die durch ein Geflecht von Fibronektin-Fasern (braun) wandert. Die Dynamik des Aktin-Zytosskeletts (grün) während der Zellwanderung sind sichtbar.

Dank der Fortschritte in der Bildgebung und der Molekularbiologie ist es heute möglich, Mastzellen auf einer ganz neuen Ebene zu untersuchen. Eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg ist in der Lage, das dynamische Verhalten von Immunzellen in 3D-Gewebeassays und natürlichem Mausgewebe zu verfolgen. Das Team um Tim Lämmermann entwickelte damit nun ein neues und besseres Verständnis davon, wie Mastzellen im Gewebe wandern, sich positionieren und organisieren.

Ihre in der Fachzeitschrift Nature Immunology veröffentlichten Ergebnisse verdeutlichen, dass Mastzellen entscheidend von Integrin-Rezeptoren und adhäsiven Interaktionen mit der extrazellulären Matrix (EZM) abhängen, um genügend Vortrieb für ihre Bewegung im Gewebe zu erzeugen.

Zellbewegung: schnelles Hindurchquetschen oder langsames Ziehen?

„Obwohl seit fast 30 Jahren bekannt ist, dass Mastzellen Integrinrezeptoren auf ihrer Oberfläche tragen, war bisher nicht geklärt, ob und wie Idiese Rezeptoren zur Organisation und Bewegung von Mastzellen im Gewebe beitragen”, sagt Tim Lämmermann.

Die meisten Immunzellen wandern schnell und mit Hilfe einer Bewegungsform, die der von Amöben ähnelt. Dafür benötigen sie auch keine starken adhäsiven Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung, wenn sie sich durch Gewebszwischenräume bewegen. Sie kommen voran – unabhängig von der biochemischen Zusammensetzung der Gewebeumgebung –, indem sie vorrangig die Kräfte ihres Zytoskeletts nutzen, um ihre Form zu verändern und sich vorwärtszubewegen.

„Im Gegensatz dazu zeigen unsere Beobachtungen nun, dass sich die Fortbewegung von Mastzellen grundlegend von diesem gängigen Paradigma bei Immunzellen unterscheidet,“ sagt Lukas Kaltenbach, einer der Erstautor:innen der Studie.

Die gemeinsamen Forschungsanstrengungen von Lukas Kaltenbach, Paloma Martzloff und Sarah Bambach, drei Doktorand:innen im Team von Tim Lämmermann zeigen überzeugend, dass Mastzellen die Integrin-vermittelte Zelladhäsion an der EZM, nutzen um Vortrieb zu erzeugen. Dabei wachsen den Zellen schmale Ausstülpungen, die wie temporäre Gliedmaßen funktionieren. Die Integrin-Adhäsionsrezeptoren auf den Zelloberflächen dienen als Haftpunkte, um den Kontakt mit dem umgebenden Material aufrechtzuerhalten. „Die Mastzellen ziehen sich dann vorne vorwärts und lösen gleichzeitig die Adhäsionen im hinteren Teil, um eine produktive Bewegung zu ermöglichen. Während dieses Bewegungsmuster bei vielen anderen Nicht-Immunzellen bereits bekannt ist, ist dies für die Welt der Immunzellen neu,“ erklärt Tim Lämmermann.

Mastzellnetzwerke im Geweben

Diese Fortbewegungsstrategie macht sie nicht nur einzigartig unter den Immunzellen, sondern scheint auch perfekt an ihre Rolle als gewebsständige Zellen angepasst zu sein. Mastzellen fungieren als Wächterzellen, die auf schädliche Reize reagieren, indem sie weitere Immunzellen anlocken und eine Entzündungsreaktion auslösen. Die langsame Integrin-vermittelte Bewegung ist entscheidend für die Verteilung der Mastzellen in physiologischen Geweben. Mastzellpopulationen finden sich vor allem in Geweben, die in direktem Kontakt mit der Außenwelt stehen, d. h. vor allem in der Haut oder in den Schleimhäuten des Atemtrakts oder des Darms.

„Unsere Daten deuten auch auf eine besondere Rolle der Integrine bei der Positionierung von Mastzellen um Arteriolen hin. Die Bereiche rund um diesen speziellen Blutgefäßtyp sind reich an mastzellspezifischen Wachstums- und Überlebensfaktoren, was zur Bildung langlebiger Mastzellnetzwerke beiträgt. Dies ist ein interessanter biologischer Aspekt, dem wir in zukünftigen Studien nachgehen werden,“ sagt Paloma Martzloff, eine der Erstautor:innen der Studie.

Die Ergebnisse aus Freiburg verändern die Sichtweise auf die Migration gewebeansässiger Immunzellen und legen nahe, Mastzellen nun zukünftige als potenziell mechanosensitive Immunzellen betrachten. Dies könnte künftige Studien über die Reaktion von Mastzellen auf veränderte Gewebeeigenschaften bei Gesundheit und Krankheit, einschließlich Mastzell-abhängiger Entzündungen oder Mastozytose, beeinflussen.

TL/MR

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht