Live aus dem Thymus: T-Zellen auf Wanderschaft

Forscher verfolgen erstmals die Entwicklung einzelner Immunzellen im lebenden Zebrafischembryo

16. Februar 2012

T-Zellen sind die Schutztruppen des Immunsystems. Sie suchen im Körper nach Krankheitserregern und entarteten Zellen und setzen sie außer Gefecht. Ihre Vorläufer bilden sich im Knochenmark und wandern von dort aus in den Thymus ein. Hier reifen sie heran und differenzieren sich, um unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen. Forscher am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg haben nun erstmals die Reifung der Immunzellen in lebenden Zebrafischembryonen live beobachtet. Die Immunzellen wandern während ihrer Entwicklung mehrfach in den Thymus ein und aus. Der Zebrafisch eignet sich damit ideal als Modellorganismus, um die dynamischen Vorgänge der Immunzellentwicklung zu untersuchen.

Vier Tage alter Zebrafisch-Embryo mit grün angefärbten Immunzellen (Thymus-Gewebe: rot). Oben im Bild ist das Auge zu sehen.

Der Thymus ist ein kleines, unscheinbares Organ, doch für ein funktionierendes Immunsystem ist er unverzichtbar. Denn hier entwickeln sich die T-Lymphozyten (T-Zellen), die in der körpereigenen Abwehr eine zentrale Rolle spielen. Ihre Vorläufer stammen aus dem Knochenmark und werden von chemischen Lockstoffen – sogenannten Chemokinen – in den Thymus gelockt. Hier entwickeln sie sich zu unterschiedlichen T-Zelltypen, die schließlich in den Körper entsendet werden.

Einem Forscherteam am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg ist es nun erstmals gelungen, diese Vorgänge live zu beobachten. An lebenden Zebrafischembryonen haben sie die Entwicklung der T-Zellen in Echtzeit verfolgt, angefangen von der Bildung der Thymus-Anlage über die Einwanderung der Zellen aus dem Knochenmark bis hin zu dem Stadium, an dem die fertigen T-Zellen aus dem Thymus entlassen wurden.

Wie die Forscher herausfanden, handelt es sich dabei um ein sehr dynamisches Geschehen. Denn die Vorläuferzellen wählen bei ihrer Einwanderung in den Thymus nicht den direkten Weg. Vielmehr zeigen sie sich „unentschlossen“ und verlassen das Organ mehrmals wieder, bevor sie sich endgültig niederlassen. „Wir haben bisher keine Ahnung, warum das so ist“, sagt Thomas Boehm, Direktor am Freiburger Max-Planck-Institut und Leiter der Studie. Auch innerhalb des Thymus wandern die Zellen. „Weil wir bisher die Zellen nicht über einen längeren Zeitraum hinweg beobachten konnten, war dieses dynamische Verhalten unbekannt“, erklärt der Wissenschaftler. Die Beobachtungen zeigen auch, dass die Wanderung vom Knochenmark in den Thymus allein von Chemokinen gesteuert wird und vom Blutstrom weitgehend unabhängig ist.

Für ihre Studie verwendeten die Forscher genetisch veränderte Zebrafischembryonen. Sie eignen sich für derartige Beobachtungen besonders gut, da der Thymus in durchscheinendes Gewebe eingebettet ist und sich die Embryonen im Mikroskop lebend beobachten lassen. Die Entwicklung der T-Zellen beim Zebrafisch ist mit der der Säugetiere vergleichbar.

Die Forscher machten das Thymusgewebe mit einem Fluoreszenzfarbstoff sichtbar. Die Immunzellen markierten sie mit einem weiteren Fluoreszenzprotein, das bei Bestrahlung mit kurzwelligem Licht seine Farbe von Grün nach Rot ändert. So konnten sie nach einer Beleuchtung des Thymus beobachten, wie grüne Zellen in den Thymus einwanderten, während ihn rote Zellen wieder verließen. „Der Farbwechsel zeigt eindeutig, dass es sich dabei um dieselben Zellen handelte“, sagt Thomas Boehm.

Auch die Zellbewegungen innerhalb des Thymus wurden somit sichtbar: Wenn die Wissenschaftler kurzzeitig nur einen kleinen Bereich des Thymus bestrahlten, konnten sie anschließend beobachten, wie sich grüne und rote Zellen allmählich wieder vermischten. Zebrafisch-Mutanten mit einer Fehlfunktion des Herzens lieferten den Forschern den Beweis, dass die Vorläuferzellen nicht einfach dem Blutstrom folgen, wenn sie in den Thymus einwandern, sondern von den Chemokinen dorthin gelenkt werden.

Den Freiburger Forschern ist es damit erstmals gelungen, die Immunzellentwicklung bei einem Wirbeltier zu verfolgen. „Wie sich herausgestellt hat, ist der Zebrafisch dafür sehr gut geeignet“, sagt Thomas Boehm. „Damit können wir nun zum Beispiel direkt testen, welchen Effekt bestimmte Substanzen auf die Bildung und Reifung der T-Zellen und des Thymusgewebes haben.“ Die Studie trägt daher nicht nur dazu bei, die Funktionsweise des Immunsystems besser zu verstehen. Die Methode könnte auch helfen, Medikamente zu entwickeln, um Fehlfunktionen des Thymus zu behandeln.

EM/HR

 

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