Im Auge des Schwarms

Der Max-Planck-Immunologe Tim Lämmermann erhält Fördermittel der Chan-Zuckerberg-Initiative (CZI) zur Untersuchung von Immunzellschwärmen

29. April 2020

Neutrophile gehören zu den ersten Immunzellen, die aus den Blutgefäßen an Infektions- oder Verletzungsorte gelangen. Dabei bilden sie charakteristische Zellschwärme und eliminieren so effektiv die Ausbreitung eindringender Krankheitserreger. Der Freiburger Max-Planck-Gruppenleiter Tim Lämmermann und der Biochemiker Eduardo Reategui von der Ohio State University (USA) erhalten von der Chan-Zuckerberg-Initiative (CZI) Fördermittel, um die zellulären und molekularen Mechanismen zu untersuchen, die das Schwärmen von Neutrophilen während des Beginns und der Abklingen einer Entzündung regulieren. Das interdisziplinäre Team wird neuartige Lab-on-a-Chip-Techniken mit fortschrittlichen bildgebenden Verfahren kombinieren, um einen noch nie dagewesenen Einblick in die inneren Funktionsmechanismen des angeborenen Immunsystems zu erhalten. Das zweijährige Pilotprojekt wird mit $350.000 unterstützt.

Ein kleiner Schnitt in den Finger und schon nach einigen Minuten wird eine Schwellung und Rötung sichtbar. Das Gewebe entzündet sich. Bereits zu diesem Zeitpunkt haben sich unzählige Immunzellen an den Ort der Infektion begeben, um schädliche Eindringlinge einzudämmen und unsere Gesundheit zu schützen.

Eine akute Entzündung gehört zur natürlichen Abwehrreaktion des Körpers und beruht hauptsächlich auf der Aktivität von Zellen der angeborenen Immunantwort wie Neutrophile, Monozyten und Makrophagen, die dabei Krankheitserreger neutralisieren und die Sterilität des Gewebes wiederherstellen.

Tim Lämmermann, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, erforscht Zellen der angeborene Immunabwehr und will verstehen, wie sie miteinander interagieren, um eine wirksame Immunantwort in entzündeten und infizierten Geweben zu ermöglichen. Zusammen mit seinem amerikanischen Projektpartner Eduardo Reategui von der Ohio State University erhält er nun von der Chan-Zuckerberg-Initiative (CZI) Fördermittel zur Untersuchung der molekularen Mechanismen sogenannter Neutrophilen-Schwärme.

Entschlüsselung der Immunzellschwärme

Neutrophile zirkulieren in unserem Blut und dienen als erste Verteidigungslinie der Immunabwehr. Wenn sie die Infektionsstelle erreichen, durchleuchten sie das Gewebe sofort nach fremden Eindringlingen und beseitigen die Ausbreitung der einfallenden Krankheitserreger, indem sie die infektionsauslösenden Mikroben in sich aufnehmen und verdauen.

„Erst vor kurzem haben wir entdeckt, dass Neutrophile miteinander kommunizieren und dabei sehr koordinierte und selbstorganisierte Zellschwärme in den Geweben bilden. Das ermöglicht es den Zellen, die Infektion gemeinsam und effizienter zu bekämpfen“, sagt Tim Lämmermann. In dem von der Chan-Zuckerberg-Initiative mit 350.000 Dollar unterstützten Projekt, versuchen die Forscher die molekularen Mechanismen zu entschlüsseln, die dieses Schwarmverhalten regulieren.

Mit einer Kombination modernsten Verfahren wie der Zwei-Photonen-Mikro-mikroskopie, neuartiger Swarming-on-a-Chip-Technologie sowie metabolomischen Methoden zur Untersuchung von Stoffwechselprodukten in den Zellen, wollen die Teams in Freiburg und den USA, zelluläre und molekulare Schlüsselfaktoren identifizieren, die das Schwarmverhalten der Neutrophile am Beginn und am Ende einer Entzündung steuern.

Das Beste aus zwei Welten: Detaillierte Bildgebung und lab-on-a-chip

Durch die Kombination dieser neuen Technologien hoffen die Wissenschaftler präzise Daten über den molekularen Charakter und die Funktionsweise einzelner Zellen innerhalb des Schwarms zu generieren. „Basierend auf unseren ersten Arbeiten über Neutrophilen-Schwärme im Gewebe von Mäusen hat unser Kooperationspartner mit Fachkenntnissen im Bereich Bioengineering eine neuartige Swarming-on-a-Chip-Technologie entwickelt. Dadurch können zahlreiche Aspekte des Schwarmverhaltens nachgeahmt werden. Die Herstellung und Erprobung dieser neuartigen Technik bildet wiederum die Grundlage für unsere weiteren biologischen Arbeiten, bei der wir mit bildgebenden Verfahren menschliche Neutrophile und die der Maus untersuchen werden. Wir wollen die bei den Lab-on-a-Chip-Experimenten neu identifizierte Signalwege in echtem Geweben unter unserem Mikroskopen validieren“, erklärt Tim Lämmermann.

Die Forscher hoffen, den Beitrag der Zellen und ihres Schwarmverhaltens bei chronischen oder akuten Entzündungen besser zu verstehen und so auch neue Ansatzpunkte für die Therapien bei verschiedenen Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen wie Asthma, Arthritis und Herzerkrankungen zu entdecken.

CV Tim Lämmermann

Tim Lämmermann studierte Molekulare Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg sowie der Lund University in Schweden und promovierte 2009 am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Seine Promotionsarbeit zur Rolle von Adhäsion und Zytoskelett-Regulierung während der Immunzellwanderung (2009) wurde mit dem Otto-Westphal-Promotionspreis der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) ausgezeichnet. Im Folgenden forschte Tim Lämmermann als Post-Doc am National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Bethesda (USA). Im dortigen Labor für Systembiologie arbeite er an den Mechanismen von Neutrophilen-Schwärmen während Infektionen und Entzündungen. Für diese Arbeit wurde er 2014 mit dem Postdoktoranden-Preis für Immunologie der Robert-Koch-Stiftung ausgezeichnet. Seit Januar 2015 ist Tim Lämmermann Leiter der Max-Planck-Forschungsgruppe „Immune Cell Dynamics“ am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. 2016 wurde Tim Lämmermann durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet.

Über die Chan Zuckerberg Initiative

Die 2015 von Dr. Priscilla Chan und Mark Zuckerberg ins Leben gerufene Chan-Zuckerberg-Initiative (CZI) ist eine neue Art von wohltätiger Organisation, die mit Hilfe von Technologie zur Lösung einiger der schwierigsten Herausforderungen der Welt beiträgt – von der Ausrottung von Krankheiten über die Verbesserung der Bildung bis hin zur Reform des Strafrechtssystems. In den drei Kernbereichen der Initiative – Naturwissenschaft, Bildung sowie Justiz und Chancengleichheit – verbindet die Initiative Technik mit der Vergabe von Zuschüssen, mit wirkungsvollen Investitionen sowie mit politischer und juristischer Arbeit, um zum Aufbau einer integrativen, gerechten und gesünderen Zukunft für alle beizutragen. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte www.chanzuckerberg.com.

Das aktuelle Förderprogramm wird 29 interdisziplinäre Teams unterstützen und ein Netzwerk von Forschenden aufbauen, die neue Ideen bezüglich der Rolle der Entzündung bei Krankheiten erkunden werden. Das CZI wird diese kleinen Teams bei der Durchführung von zweijährigen Pilotprojekten unterstützen, die sich auf Entzündungsprozesse auf Gewebeebene in verschiedenen Geweben und Krankheitszuständen konzentrieren. Mehrere Forschende untersuchen auch Coronaviren wie SARS und MERS. Die Vergabe der Förderung soll dazu beitragen, neue Kooperationen zu bilden, Technologien und experimentelle Methoden zu etablieren und Schlüsselfragen für weitere Untersuchungen zu formulieren.

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