Mit Fruchtfliegen und Mini-Hirnen Einblicke in neuronale Erkrankungen gewinnen

Valérie Hilgers erhält einen ERC Consolidator Grant

3. Dezember 2024

Die Max-Planck-Wissenschaftlerin Valérie Hilgers wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem prestigeträchtigen Consolidator Grant in Höhe von 2 Millionen Euro ausgezeichnet. In ihrem Forschungsprojekt untersucht sie, wie die gezielte Bearbeitung der RNA-Moleküle in Neuronen die einzigartigen Funktionen dieses Zelltyps ermöglichen und welche Rolle diese Prozesse bei neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson spielen. Mithilfe von Fruchtfliegen und Gehirn-Organoid-Modellen will Hilgers die molekularen Mechanismen entschlüsseln, die den Unterschied zwischen normaler Funktion und Fehlfunktion in diesem Gewebe ausmachen.

Das Nervensystem des Menschen besteht aus mehr als 80 Milliarden Neuronen. Dabei handelt es sich um einen einzigartigen Zelltyp, der Aufgaben erfüllt, die kein anderer übernehmen kann. So kommunizieren diese Zellen mithilfe elektrischer und chemischer Signale und passen ihre Verbindungen ständig an – eine Fähigkeit, die Lernen und Gedächtnis erst ermöglicht. Auch auf molekularer Ebene sind Neuronen bemerkenswert: Sie enthalten eine außergewöhnlich große Vielfalt an RNA-Molekülen – eine Diversität, die in anderen Geweben kaum zu finden ist. RNAs übernehmen wichtige Aufgaben, etwa die Steuerung von Zellfunktionen, und sie sind entscheidend für die Gesundheit des Nervensystems, denn nahezu jede bekannte neurologische oder neurodegenerative Erkrankung hängt mit Fehlfunktionen der RNA-Regulation zusammen.

Die RNA-Biologie von Neuronen ist das faszinierende Forschungsfeld der Max-Planck-Wissenschaftlerin Valérie Hilgers, die vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem prestigeträchtigen Consolidator Grant ausgezeichnet wurde. Das mit 2 Millionen Euro geförderte Projekt untersucht, wie Neuronen durch sogenannte alternative RNA-Prozessierung die regulatorische Kapazität einzelner Gene steigern. Dieser Mechanismus ermöglicht es, aus einem einzigen Gen verschiedene RNA-Varianten zu erzeugen, die spezifische Funktionen in den Nervenzellen übernehmen.

Hotspot der alternativen RNA-Prozessierung

„Neuronen sind ein Hotspot der alternativen RNA-Prozessierung. Kein anderer Zelltyp nutzt Mechanismen wie Spleißen, Polyadenylierung oder die Wahl alternativer Transkriptionsstart- oder -endpunkte so effektiv, um aus einem einzigen Gen eine Vielzahl unterschiedlicher RNA-Baupläne zu erstellen“, erklärt Valérie Hilgers. „Diese Prozesse sind entscheidend für die Funktion von Nervenzellen und ihre Anpassungsfähigkeit. Aber gleichzeitig ist das Nervensystem besonders anfällig für RNA-Dysfunktionen,“ so Hilgers, die im Sommer 2025 die Professur für Anatomie und Zellbiologie an der Universität Basel antreten wird.

Eine Fehlregulation dieser Prozesse ist oft die Ursache für neurologische und neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer- und Parkinson-Krankheit. Daher möchte das Projekt die Zusammenhänge zwischen den molekularen Mechanismen während der Genexpression in Neuronen und der Funktionalität des Nervensystems unter gesunden und krankhaften Bedingungen verstehen. Dazu kombinieren die Forschenden Studien in der Fruchtfliege Drosophila mit in-vitro-Modellen des menschlichen Gehirns, einschließlich kultivierter Neuronen und zerebraler Organoide.

Mit Mini-Hirnen Einblicke in Krankheitsmechanismen liefern

Ziel des Projekts ist es, die grundlegenden Mechanismen zu entschlüsseln, die hinter der RNA-Vielfalt in Neuronen stecken und was die speziellen, nur in Neuronen vorkommenden, RNA-Varianten so einzigartig macht. Damit verbindet sich das Ziel zu erforschen, wie neuronale RNAs die Funktion des Gehirns regulieren, einschließlich ihrer Rolle bei der Anpassung und Reaktion auf Veränderungen. „Wir werden uns auch damit befassen, ob es möglicherweise Wege gibt, gestörte RNA-Prozesse zu korrigieren, um die physiologischen Funktionen des Nervensystems zu verbessen”, sagt Valérie Hilgers Langfristig könnten die Erkenntnisse der Forschenden dazu beitragen, neue Ansätze für die Behandlung neurologischer und neurodegenerativer Krankheiten zu entwickeln. 

 

Biographie: Valérie Hilgers

Valérie Hilgers studierte Biologie an der Universität des Saarlandes und der Ecole Normale Supérieure in Paris. Sie promovierte am EMBL in Heidelberg sowie dem Temasek Life Sciences Institute, Singapore. Von 2010 bis 2016 war Valérie Hilgers Postdoc an der University of California in Berkeley (USA) in der Abteilung für Molekular- und Zellbiologie. Seit 2016 ist Valérie Hilgers Leiterin einer Max-Planck-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. Mit ihrem Labor in Freiburg untersucht sie die Genetik und Epigenetik des Nervensystems und erforscht neuronenspezifische RNA-Signaturen und ihre Rolle in der neuronalen Entwicklung und Funktion. Technologisch setzt das Team dabei neben funktioneller Drosophila-Genetik, Verhaltensstudien und Bildgebung auch auf RNA-Biochemie und transkriptomischen Ansätze. Ab Sommer 2025 übernimmt Valérie Hilgers die Professur für Anatomie und Zellbiologie an der medizinischen Fakultät der Universität Basel (Schweiz).

ERC Consolidator Grants

Die Consolidator Grants gehören zu den höchstdotierten Forschungsfördermaßnahmen der Europäischen Union und werden jährlich an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verliehen. Mit dieser Auszeichnung würdigt und unterstützt die EU Forschende, die durch exzellente Leistungen international auf sich aufmerksam gemacht haben. Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) vergibt die mit 2 Millionen Euro dotierten Grants an Wissenschaftler:innen, die an einer europäischen Forschungsinstitution tätig sind und deren Promotion maximal sieben bis zwölf Jahre zurückliegt. In der aktuellen Ausschreibungsrunde 2024 wurden nach einem umfangreichen Evaluierungsverfahren 328 Projekte gefördert – bei 2313 eingereichten Anträgen entspricht dies einer Erfolgsquote von etwa 14 %. Der ERC Consolidator Grant für Valérie Hilgers unterstreicht erneut die Rolle des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg als bedeutenden Standort europäischer Spitzenforschung. Seit Beginn des Programms im Jahr 2007 wurden bereits 14 ERC-Auszeichnungen an Forschende des Instituts vergeben.
 

MR

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