Juliane Glaser ist neue Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut in Freiburg
Die französische Wissenschaftlerin erforscht epigenetische Mechanismen der Embryonalentwicklung mit einem besonderem Fokus auf „springende Gene“
Seit Juni 2025 ist Juliane Glaser die Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. Mit ihrer Forschungsgruppe konzentriert sie sich auf die Rolle transponierbarer Elemente in der Embryonalentwicklung, um zu verstehen wie diese sogenannten „springenden Gene“ des Erbguts an der normalen Entwicklung von Säugetieren bzw. bei der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind. Erfahren Sie mehr über die Forschung und den Werdegang von Juliane Glaser in diesem Artikel und Interview.

Das Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik (MPI-IE) freut sich, Dr. Juliane Glaser als neue unabhängige Gruppenleiterin zu begrüßen. Sie hat im Juni 2025 ihre eigene Forschungsgruppe in Freiburg gestartet. Das Labor von Juliane Glaser untersucht, wie transponierbare Elemente (TEs) die Embryonalentwicklung von Säugetieren beeinflussen.
Nahezu die Hälfte des menschlichen Erbguts besteht aus transponierbaren Elementen – mobilen genetischen Sequenzen, die oft als „springende Gene“ bezeichnet werden. Viele dieser Sequenzen stammen von uralten Virusinfektionen, die dauerhaft ins Genom integriert wurden. Die bedeutende Rolle dieser Elemente wurde erstmals von Barbara McClintock erkannt, die 1948 beim Mais transponierbare Elemente als sogenannte „Steuerungselemente“ des Genoms beschrieb. Obwohl ihre Entdeckung zunächst mit Skepsis aufgenommen wurde und diese Sequenzen lange als funktionslose „genetische Parasiten“ galten, haben spätere Forschungen ihre zentrale Bedeutung bewiesen – wofür McClintock 1983 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Heute weiß man, dass transponierbare Elemente, die sich selbst kopieren und an verschiedene Stellen im Genom springen können, wesentlich an der Genregulation, der Entwicklung und der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind.
Interview mit Juliane Glaser
Kannst du deine aktuelles Forschungsthema beschreiben und erläutern, wie er sich in den letzten Jahren entwickelt hat?
Mein Labor befasst sich mit der genetischen und epigenetischen Steuerung der Embryonalentwicklung, wobei der Schwerpunkt auf sogenannten Transposonen liegt. Ich habe Molekularbiologie und Genetik studiert und mich schon früh für Entwicklungsbiologie begeistert. Dabei war ich immer wieder fasziniert davon, dass sich eine einzige befruchtete Zelle zu einer Vielzahl spezialisierter Zelltypen und Organe differenziert. Meine ersten Erfahrungen Labor weckten dann schnell mein Interesse vor allem an der Entwicklung von Mäusen und der Genregulation. Während meiner Promotion am Institut Curie untersuchte ich den Mechanismus der genomischen Prägung, einen faszinierenden Prozess, bei dem ein Gen nur von einem der beiden elterlichen Allele exprimiert wird. Dabei habe ich ziemlich viel Einblick in die Epigenetik und sowie das Genom-Engineering bekommen und arbeitete weiterhin mit dem Mausmodell. Für meine Postdoc-Stelle wollte ich mich mit Entwicklungsmechanismen im Zusammenhang mit pathologischen Phänotypen befassen und auch Kenntnisse auf dem Gebiet der 3D-Genomorganisation erwerben. Dort begann ich auch, mich mit Transposonen zu beschäftigen und erkannte, wie faszinierend die sind! Es ist schon lustig. Während des größten Teils meiner Promotion haben die meisten meiner Kollegen im Labor in Paris an Transposonen gearbeitet haben – ich war also ständig mit diesem Thema konfrontiert, auch wenn es zu dieser Zeit nicht mein Schwerpunkt war. In meinem Postdoc-Labor in Berlin arbeitete dann niemand an Transposons – außer mir! Doch das war von Vorteil für mich, da ich mir so meine Nische im Postdoc-Labor aufbauen konnte und auf das Fachwissen und die Inspiration meiner früheren Kolleginnen und Kollegen zurückgreifen konnte.
Du konzentrierst dich nun in deiner Forschung auf diese mobilen genetischen Elemente und deren Einfluss auf die Entwicklung. In deiner neuesten Studie, die demnächst in Nature Genetics erscheint (preprint), zeigst du, wie die Aktivierung eines einzelnen, normalerweise stillgelegten retroviralen Elements im Mausgenom zu Entwicklungsstörungen führen kann. Was fasziniert dich an diesen Themen und was sind deine Zukunftspläne in Freiburg?
Als ich angefangen habe, mich mit dieser durch ein transponierbares Element verursachten Entwicklungsfehlbildung zu beschäftigen, sind wir erstmal davon ausgegangen, dass es im Prinzip die 3D-Organisation des Genoms und die Genexpression stört. Das war für uns die logischste Erklärung, weil ja bekannt ist, dass Transposons die Genregulation in ganz unterschiedlichen Kontexten beeinflussen können. Relativ schnell haben wir dann aber gemerkt, dass das in unserem Fall nicht der Grund für den pathologischen bzw. kranken Phänotyp war. Also haben wir angefangen, nach anderen Ursachen zu suchen. Dabei ist mir nochmal richtig klargeworden, wie vielfältig die Effekte von Transposons in einer Zelle eigentlich sein können. Eine unserer neuen Hypothesen war, dass dieses spezielle transponierbare Element ursprünglich von einem Virus stammt und noch virale Sequenzmerkmale trägt, sodass es eventuell sogar ein toxisches, virusähnliches Partikel produzieren könnte. Diese Idee fand ich am Anfang ehrlich gesagt ziemlich weit hergeholt … aber tatsächlich war es genau das! Und das ist auch das Faszinierende an der Forschung zu TEs: Man wird immer wieder aufs Neue überrascht. Hier in Freiburg wollen wir jetzt ähnliche und auch andere Mechanismen erforschen, bei denen bestimmte retrovirale Elemente – wenn sie wieder aktiv werden – die Entwicklung beeinflussen können oder vielleicht sogar ganz normal zu physiologischen Entwicklungsprozessen dazugehören.
Apropos Freiburg: Du hast in Paris promoviert, in Berlin postdoktoriert und dich nun als Free Floater für das Max-Planck-Institut in Freiburg entschieden. Was hat dich für Freiburg und das MPI-IE entschieden?
Viele Leute sind ziemlich überrascht, wenn ich erzähle, dass ich von Paris und Berlin nach Freiburg gezogen bin! Ich habe mich selbst immer als absoluten Großstadtmenschen gesehen – ich bin ja sogar in Paris geboren. Am Anfang war ich deshalb auch unsicher, ob das Leben in einer kleineren Stadt wie Freiburg wirklich das Richtige für mich ist. Aber nachdem ich ein paar Mal hier war, habe ich Freiburg wirklich schätzen gelernt. Die Stadt ist total lebendig, ich genieße es, dass ich alles mit dem Fahrrad erreichen kann, und die Natur ringsherum ist einfach wunderschön. Für mich war aber eigentlich noch wichtiger, dass Freiburg wirklich der beste Ort war, um mein eigenes Labor zu starten. Die wissenschaftliche Expertise hier, die exzellenten Forschungseinheiten und die Vielfalt am Institut waren für mich ausschlaggebend. Besonders spannend fand ich auch, dass fast zeitgleich drei weitere unabhängige Gruppenleitungen angefangen haben – das hat von Anfang an ein echtes Gemeinschaftsgefühl geschaffen und eine Dynamik, die ich nach wie vor als eine der großen Stärken hier empfinde.
Welche Forschungstechnologien und Modellorganismen verwendest du für deine Studien?
Obwohl Entwicklungsbiologie an verschiedenen Modellorganismen untersucht werden kann, habe ich meine gesamte Karriere mit Mäusen gearbeitet. Ein Großteil meiner Arbeit findet in vivo als im lebenden Organismus statt, da ich verstehen möchte, wie bestimmte Genomsequenzen die Physiologie und Phänotypen beeinflussen. Wir verwenden embryonale Mausstammzellen, die wir mit CRISPR/Cas9-Technologien modifizieren, und erzeugen anschließend mithilfe der tetraploiden Komplementationstechnik Mausembryonen. Mit dieser Methode entstehen Embryonen, die vollständig aus den durch CRISPR editierten Stammzellen stammen, was die Untersuchung von Entwicklungsphänotypen erleichtert, ohne dass adulte Tiere erzeugt werden müssen. Parallel dazu differenzieren wir embryonale Stammzellen zu embryonenähnlichen Strukturen wie Gastruloiden, die in vitro die ersten Schritte der Entwicklung nach der Implantation nachahmen. Wir kombinieren diese speziellen Stammzell- und Mausmodelle mit modernen Omics- und Bildgebungsverfahren.
Was hat Sie zu einer Karriere in der Wissenschaft inspiriert?
Um ehrlich zu sein, hatte ich keinen klaren Plan und wusste auch nicht immer, dass ich mich der Wissenschaft widmen wollte. In der Schule mochte ich die meisten Fächer nicht besonders und war auch kein besonders gute Schülerin. Ich habe mich eher aus Mangel an Alternativen für Biologie entschieden – es war das Fach, das mir in der Schule am besten gefallen hat – oder zumindest am wenigsten nicht gemocht habe (lacht). Erst an der Universität habe ich mich dann in die Biologie verliebt und erkannt, dass ich eine Karriere in der Wissenschaft anstreben möchte. Zum ersten Mal saß ich gerne im Unterricht und hatte einige großartige Lehrer, die uns nicht nur die Theorie beibrachten, sondern uns auch einen Einblick gaben, was es bedeutet, Forscherin zu sein, welche Fragen sie sich stellen und wie sie diese beantworten. Dieser Teil hat mir sehr gut gefallen, und als ich dann selbst in einem Forschungslabor arbeiten konnte, gefiel es mir noch besser. Es hat mich sehr erfüllt, eine biologische Fragestellung anzugehen, passende Experimente zu entwickeln und die gewonnenen Ergebnisse in einen größeren Zusammenhang zu stellen, um so neue Erkenntnisse zum Fachgebiet beizutragen. Außerdem habe ich dabei entdeckt, wie viel Freude es mir bereitet, Studierende im Labor zu begleiten und ihre Entwicklung als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu unterstützen.
Was ist der wertvollste Rat, den du in Bezug auf deine wissenschaftliche Karriere erhalten hast, und wie hat er deine Herangehensweise an die Forschung beeinflusst?
Bei der Wahl meines Arbeitsortes sind das Umfeld und die Kollegen für mich fast genauso wichtig wie das wissenschaftliche Thema selbst. Forschung ist immer Teamarbeit – und gute Kolleginnen und Kollegen können, zumindest aus meiner Sicht, alles verändern: sowohl für die eigene Karriere als auch für das persönliche Wohlbefinden. Ich hatte das große Glück, stets von großartigen Menschen umgeben zu sein, und schätze es sehr, Teil eines engagierten und vielfältigen Teams zu sein
Die doppelte Natur der transponierbaren Elemente erforschen
„Wir sind fasziniert von diesen Elementen. Die zentrale Herausforderung ist ihre doppelte Natur“, erklärt Juliane Glaser. „Einerseits kann ihre Mobilität zu Mutationen führen, die Krankheiten oder schwerwiegende Entwicklungsstörungen auslösen. Andererseits hat das Genom viele dieser Elemente übernommen, um wichtige physiologische Funktionen zu erfüllen. Sie sind für die Genregulation und den Zellzustand essenziell und können sogar ein integraler Bestandteil normaler Entwicklungsprozesse sein.“
Gerade während der frühen Embryonalentwicklung sorgen epigenetische Mechanismen für ein fein austariertes Gleichgewicht der Aktivität transponierbarer Elemente. Das Labor von Juliane Glaser hat sich zum Ziel gesetzt, diese Mechanismen aufzuklären und zu erforschen, wie transponierbare Elemente die Embryonalentwicklung bei Säugetieren beeinflussen. Wichtige Schwerpunkte der neuen Arbeitsgruppe sind die Charakterisierung neuartiger Krankheitsmechanismen, die mit der Reaktivierung transponierbarer Elemente in Zusammenhang stehen, die Erforschung ihrer Rolle bei Entscheidungen in der Zelle sowie die Entschlüsselung der regulatorischen Netzwerke, die ihre Aktivität kontrollieren.
Von Paris über Berlin nach Freiburg
Um diese Ziele zu erreichen, nutzt das Labor innovative Methoden: Zum Einsatz kommen etwa CRISPR/Cas9-basiertes Genom-Engineering in embryonalen Stammzellen der Maus sowie die Entwicklung spezifischer transgener Mausmodelle. Mithilfe moderner Technologien wie Einzelzell-Sequenzierung und hochauflösender Bildgebung werden diese Modelle analysiert, um die molekularen und morphologischen Auswirkungen der transponierbaren Elemente während der Entwicklung besser zu verstehen.
Juliane Glaser ist Molekularbiologin mit fundierter Expertise in Epigenetik, Genom-Engineering und Entwicklungsbiologie. Nach ihrer Promotion in Paris, wo sie sich intensiv mit der genomischen Prägung befasste, forschte sie als Postdoktorandin in Berlin zu den Auswirkungen des nicht-kodierenden Genoms auf Entwicklungskrankheiten. Ihre wissenschaftlichen Stationen haben ihr einen besonderen Blick für die vielfältigen und komplexen Rollen transponierbarer Elemente in der Embryonalentwicklung eröffnet.
Bonjour & herzlich willkommen in Freiburg, Juliane!
Lebenslauf Juliane Glaser
Juliane Glaser studierte Molekularbiologie und Genetik an der Universität Paris-Cité und promovierte am Institut Curie in Paris. Unter der Leitung von Deborah Bourc’his untersuchte sie dort die epigenetische Regulation und die physiologischen Auswirkungen der genomischen Prägung. In ihrer Doktorarbeit konnte sie zeigen, dass die kurzzeitige Transkription während der frühen Säugetierentwicklung die Aktivierung eines geprägten Gens programmiert, das für Ernährung und Wachstum nach der Geburt entscheidend ist.
Daraufhin wechselte Juliane mit einem unabhängigen Postdoc-Stipendium des Human Frontier Science Program (HFSP) in das Labor von Stefan Mundlos am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Dort erforschte sie, wie strukturelle Variationen im Genom – einschließlich Inversionen, Duplikationen und der Einbau transponierbarer Elemente – die Genregulation während der Entwicklung beeinflussen und zu Erkrankungen beitragen.
Im Jahr 2024 wurde Juliane Glaser als Gruppenleiterin an das Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik berufen und startet ihr Labor offiziell im Juni 2025.