Ringen ums X-Chromosom

MOF-Komplexe steuern genetisches Fair-Play

17. Juni 2014

Die Geschlechter vieler Tierarten lassen sich durch die unterschiedliche Zahl von X-Chromosomen unterscheiden. Während Männchen nur ein X-Chromosom besitzen, haben Weibchen zwei Kopien. Daraus entsteht evolutionär der Druck, Mechanismen zu entwickeln, die dieses Ungleichgewicht vermeiden. Manche Arten, wie etwa Fruchtfliegen, regulieren das einzelne X-Chromosom in Männchen hoch, während andere Arten, etwa Maus oder Mensch, eines der beiden X-Chromosomen in Weibchen stilllegen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg zeigen jetzt, dass das evolutionär konservierte Protein MOF, das bei der Regulierung in Fliegen eine Rolle spielt, auch an der Kompensation bei Mäusen beteiligt ist. Erstaunlicherweise wird diese MOF-vermittelte Regulierung nicht durch einen, sondern parallel durch zwei Proteinkomplexe sichergestellt.

Immunfluoreszenzbild einer Kolonie weiblicher embryonaler Mausstammzellen: Die Zellen wurden mit der RNA-FISH-Methode spezifisch für Tsix-DXPas34 behandelt (grüne/gelbe Punkte). Das gelbe Signal über der oberen Hälfte der Zellkolonie sind die ChIP-Sequenzierungsdaten, die die Chromatin-Bindung von MSL2 in der Region des X-Inaktivierungszentrums darstellen. Die größte Spitze ist die Bindung von MSL2 an den Tsix-Enhancer Tsix-DXPas34.

In männlichen Fruchtfliegen sorgt der Protein-Komplex MSL gemeinsam mit seinem wichtigsten Enzym MOF dafür, dass die Gene des einzeln vorliegenden X-Chromosoms doppelt so intensiv abgelesen werden wie andere Chromosomen. Auch bei Mäusen haben die Geschlechter mit der unterschiedlichen Zahl von X-Chromosomen zu kämpfen. Anders als bei Fliegen aber, die eine verstärkte X-Expression in Männchen zeigen, kommt es bei weiblichen Mäusen zu einer Inaktivierung von einem der beiden X-Chromosomen, was als X-Inaktivierung bezeichnet wird.

Das Team um Asifa Akhtar, Direktorin am Freiburger Max-Planck-Institut, zeigte nun, dass zwei evolutionär konservierte Proteinkomplexe Einfluss haben auf die X-Inaktivierung in Säugerzellen. Beide Komplexe steuern die Funktion des Genregulators MOF. „Am eindrücklichsten ist, dass MOF und seine Protein-Partner die Aktivität der beiden X-Chromosomen in weiblichen Stammzellen aufrechterhalten. Das ist unerlässlich, damit die Zellen ihren einzigartigen Charakter behalten“, sagt Akhtar. Während der Entwicklung weiblicher Säugetiere muss eines von zwei X-Chromosomen abgeschaltet werden, um so die gleiche Anzahl an Genen in Männchen und Weibchen zu schaffen. Dieser Vorgang wird „Dosiskompensation“ genannt. In embryonalen Stammzellen jedoch müssen beide X-Chromosomen aktiv bleiben.

Die Studie weist nun nach, dass der MOF-Protein-Komplex eine entscheidende Rolle bei dieser Regulierung spielt. Der MOF-MSL-Komplex reguliert das Gen Tsix. Tsix wiederum hemmt die Produktion von Xist, einem RNA-Molekül, das für die X-Inaktivierung verantwortlich ist. Der Protein-Komplex MOF-NSL stellt die Identität als Stammzelle sicher, indem er mehrere Transkriptionsfaktoren aktiviert und so effizient der Bildung der Xist-RNA entgegenstrebt, die die X-Hemmung zur Folge hätte.

„Es war überwältigend zu sehen, dass das gleiche Protein sowohl in Mäusen als auch in Fliegen an der X-chromosomalen Gendosierung beteiligt ist, obwohl die Mechanismen Welten voneinander entfernt scheinen“, ergänzt Ko-Erstautor Tomasz Chelmiki. Zudem beeinflussen die MOF-assoziierten Komplexe die Expression tausender Gene in Mauszellen.

Die Kombination leistungsstarker Sequenzier-Methoden und biochemischer Experimente ermöglichte detaillierte Einblicke in genomweite Wechselwirkungen von MSL und NSL. „Es ist eine echte Herausforderung, die stetig wachsende Menge von Daten zu analysieren, die durch Hoch-Durchsatzverfahren entsteht“, sagt Ko-Erstautorin Friederike Dündar. „Aber es erlaubt uns zu untersuchen, wie unterschiedliche Komplexe zusammenwirken und einander ergänzen, um das gleiche Ziel in der Zelle zu erreichen.“

Das MOF-Enzym ist in der Zelle für die Azetylierung von Histonen zuständig. Diese post-translationale Modifikation macht die DNA leichter zugänglich für die Gen-Ablese-Maschinerie der Zelle. Beitragen werden die Studienerkenntnisse zu einem besseren Verständnis komplexer zellulärer Vorgänge wie etwa Embryonalentwicklung, Organogenese und krankhafter Veränderungen wie etwa Krebs.

JF/HR

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