
Sexueller Parasitsmus bei Anglerfischen
Wie das seltsame Paarungsverhalten von Anglerfischen das Verständnis der Immunbiologie auf den Kopf stellt
Der Anglerfisch begeistert uns hier am MPI. Denn die Tiere, die in den tiefsten Bereichen der Ozeane in völliger Dunkelheit leben, haben es wirklich schwer Partner für die Fortpflanzung zu finden. In der Finsternis von 4000 Meter Tiefe locken sie zwar ihre Beute mit der leuchtenden Angel vor ihr Maul, aber um sich erfolgreich fortzupflanzen, Bedarf es noch eines interessanteren Tricks – und der ist im Tierreich ziemlich einzigartig.

Der Liebesbiss
Denn wenn sich die Partner in diesen tiefen Weiten treffen, dann soll die Verbindung möglichst für immer halten. Forscher:innen am MPI haben herausgefunden, dass einige Arten das Problem so angehen, indem sich die winzigen Männchen dauerhaft mit den sehr viel größeren Weibchen verbinden. Nach dem Andocken wachsen die Winzlinge an ihren viel größeren Damen fest. Dabei verbinden sich die Gewebe der Partner und es entsteht ein gemeinsamer Blutkreislauf, der das verkümmerte Männchen mit Nährstoffen versorgt. Oft hängen sogar mehrere Männchen an einem Weibchen - sie alle sind vollständig auf die Weibchen angewiesen. Deshalb wird diese Fortpflanzungsstrategie auch als sexueller Parasitismus ezeichnet.
Filmaufnahmen der Paarung von Tiefseeanglerfischen
Eine derart enge Verbindung kennt man sonst nur noch von siamesischen Zwillingen, die allerdings genetisch identisch sind. Bei den weiblichen und männlichen Anglerfischen ist dies jedoch nicht der Fall. Sie haben verschienden Genome und deshalb müsste es, ähnlich wie eine einer Organtransplantation zu heftigen Abstoßungsreaktionen kommen. Denn das Immunsystem von Wirbeltieren reagiert auf fremde Zellstrukturen normalerweise wie auf Krankheitserreger. Aus diesem Grund werden Abwehrreaktionen bei Organtransplantationen durch Medikamente unterdrückt und die Gewebeeigenschaften von Spender und Empfänger müssen bestmöglich abgestimmt werden.
Die Fische überlisten das Immunsystem
Doch bei den Anglerfischen ist das nicht der Fall und das macht sie so interessant für die immunbiologische Forschung am Institut. Unser Forscher:innen im Labor von Thomas Boehm wollten verstehen, wie das überhaupt möglich ist und, ob man es nicht auf für medizinische Fragen nutzbar machen kann. Dazu untersuchten sie die Genome verschiedener Seeteufelarten. Im Fokus standen dabei Erbanlagen, die für die Bildung der sogenannten Haupthistokompatibilitäts-Antigene (MHC) verantwortlich sind. Sie sitzen auf der Oberfläche von Körperzellen und lösen im Immunsystem Alarm aus, wenn Krankheitserreger vorhanden sind. Diese Antigene haben auch eine wichtige Rolle in der Transplantationsmedizin: Es gilt, ähnliche MHC-Formen bei Spendern und Empfängern zu finden, um nach der Organübertragung möglichst geringe Abstoßungsreaktionen zu gewährleisten.
Bei ihren genetischen Analysen stellten die Forscher:innen z.B. fest, dass die Seeteufel die Gene zur Herstellung der MHC-Moleküle ausgeschaltet haben. Statt auf ein Immunsystem aus angeborener und erworbener Immunabwehr zu setzen, wie alle anderen Wirbeltiere, verlassen sie sich einzig auf die angeborene Immunität. Sie bilden also keine maßgeschneiderten Antikörper, verzichten auf spezifische T-Effektorzellen, mit denen infizierte Zellen beseitigt und fremdes Gewebe attackiert werden und haben keine breitgefächerten MHC-Moleküle mehr, die Alarm schlagen, wenn sie etwas Fremdes entdeckt haben.
How Anglerfishes Become One With Their Partners
Wenn wir mehr darüber lernen, wie Anglerfisch mit diesem ungewöhnlichen Immunsystem überleben, hilft das zukünftig vielleicht bei der Entwicklung von Theraphiestrategien um die angeborene Immunität bei Patienten mit Immunschwäche zu verbessern.
Mehr Anglerfisch
Wenn du mehr über dieses faszinierende Thema erfahren willst, dann haben wir hier für dich spannende Artikel und Medien zusammengestellt:
Auch in der nationalen und internationalen Presse erfreut sich das merkwürdige Paarungsverhalten größter Beliebtheit. Lesen Sie hier die besten und Überschriften und Artikel zu unserer Forschung:
- Rätsel um den Liebesbiss
Badische Zeitung (7. November 2020) - Abwehr adieu (PDF)
Laborjournal (10/2020) - Bis dass der Tod sie scheidet
FAZ (8. August 2020) - What do have T cells have to do wuth deep-sea sex and everlasting attachment? (Audiobeitrag, Interview)
BBC, Science in Action (6. August 2020) - Wie Seeteufel bei der Paarung ihre Körper verschmelzen (Audiobeitrag)
Deutschlandfunk (31. Juli 2020) - How the Ultimate Live-in Boyfriend Evolved His Way Around Rejection?
New York Times (30. Juli 2020) - Strange anglerfish sex is teaching scientists about the immune system
Inverse (30. Juli 2020) - Das abhängigste Männchen im Ozean
Spiegel Online (30. Juli 2020) - Wie Anglerfische verschmelzen, um sich zu paaren
Spektrum (30. Juli 2020)