Zellen steuern Energiestoffwechsel über Hedgehog-Signalweg
Wissenschaftler entdecken neue Behandlung für Diabetes und Übergewicht sowie mögliche Ursache für starke Nebenwirkungen von Hedgehog-Hemmern als Krebsmedikamente
Krebs, Diabetes und Übergewicht haben eines gemeinsam: Sie verändern den zellulären Stoffwechsel. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und der Medizinischen Universität Wien haben zusammen mit einem internationalen Forscherteam einen neuen Signalweg für den Zellstoffwechsel aufgeklärt. Demnach ermöglicht das Protein Hedgehog über einen bislang unbekannten Signalweg, dass Muskelzellen und braune Fettzellen unabhängig von Insulin Zucker aufnehmen können. Substanzen, die den Signalweg selektiv aktivieren, könnten demnach zur Behandlung von Übergewicht und Diabetes angewandt werden. Mit ihren Ergebnissen können die Forscher auch erklären, warum verschiedene neue Wirkstoffe gegen Krebs in klinischen Studien starke Nebenwirkungen ausgelöst haben.
Hedgehog war zunächst als wichtiges Protein für die Embryonalentwicklung unterschiedlichster Organismen identifiziert. Ohne Hedgehog geraten die Körperabschnitte des Embryos durcheinander. Hedgehog beeinflusst aber auch die Vermehrung, Wanderung und Spezialisierung von Zellen – also Vorgänge, die auch bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen. Mutationen des Gens treten entsprechend bei verschiedenen Krebserkrankungen wie Bauchspeicheldrüsen-, Magen- oder Darmkrebs auf. Darüber hinaus blockiert Hedgehog die Bildung von „schlechtem“ weißem Fettgewebe. „Gutes“ braunes Fett, das zur Kontrolle der Körpertemperatur dient, ist davon nicht betroffen.
Hedgehog ist deshalb ein vielversprechendes Ziel für Medikamente gegen Krebs, Diabetes und Übergewicht. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat dieses Jahr den ersten Hemmstoff von Hedgehog, Vismodegib, als Krebsmedikament zugelassen. Gegenwärtig werden in klinischen Studien mindestens sechs weitere Wirkstoffe erprobt. Allerdings traten bei manchen der mit Vismodegib behandelten Patienten so starke Nebenwirkungen wie Gewichtsverlust und Muskelkrämpfe auf, dass über die Hälfte der Teilnehmer die Studien abbrechen mussten.
Die neuen Ergebnisse liefern nun eine Erklärung für die Muskelkrämpfe und zeigen, dass eine bereits bekannte, einfache und sichere Zusatzbehandlung die unerwünschten Wirkungen unterbinden kann. Die Forscher haben nämlich einen neuen, von der bisher bekannten Aktivierung von Transkriptionsfaktoren und Genen unabhängigen, Hedgehog-Signalweg entdeckt. Über diesen Weg steuern Zellen ihren primären Energiestoffwechsel, darunter den Glukose-, Fettsäure- und Aminosäurestoffwechsel.
Eine wichtige Rolle spielt dabei das Membranprotein Smo. Es steuert sowohl den bekannten Signalweg über Transkriptionsfaktoren als auch den neuen, schnelleren über das Enzym AMP-Kinase und Kalzium-Ionen. Smo wird aktiv, wenn Hedgehog an einen speziellen Rezeptor in der Zellmembran bindet. Im nun entdeckten Signalweg fließt Kalzium durch Membrankanäle in die Zelle und aktiviert Kalzium-abhängige Enzyme, die wiederum die AMP-Kinase aktivieren. Dies stellt den Stoffwechsel komplett um. Mit der AMP-Kinase und anderen Enzymen kann die Zelle schnell große Mengen Glukose aufnehmen und den Stoffaufbau und -abbau neu justieren. Anstelle möglichst effizient Energie in den Mitochondrien zu erzeugen, ermöglicht der Hedgehog-Signalweg zudem die Energiegewinnung über die Milchsäure-Vergärung – ein Prozess, mit dem beispielsweise Krebszellen ohne Sauerstoff ihre Energie gewinnen können (Warburg-Effekt).
Hedgehog-Hemmstoffe hungern auf diese Weise Krebszellen förmlich aus. Überraschenderweise stimulieren die klassischen Hedgehog-Hemmer sowohl den alten als auch den neuen Signalweg. Dieser Befund könnte bisherige Forschungsergebnisse in einem neuen Licht erscheinen lassen.
Die Aktivierung von Hedgehog und dem Smo-Kalzium-AMP-Kinase-Signalweg stört ab- und aufbauende Stoffwechselwege. „Eine aktive AMP-Kinase und verstärkter Stoffabbau könnte den Gewichtsverlust der Probanden in den klinischen Studien erklären. Insbesondere führt der Einstrom von Kalzium in Muskelzellen aber dazu, dass die Zellen kontrahieren und so Krämpfe auslösen“, erklärt Andrew Pospisilik vom Freiburger Max-Planck-Institut. Hedgehog-Hemmstoffe führen aber nicht zwangsläufig zu solchen Nebenwirkungen. „Wir haben die Wirkung verschiedener Substanzen auf Smo mit getestet und herausgefunden, dass es Hemmstoffe gibt, die die Kalzium- und Glukose-Werte nicht ansteigen lassen und keine Krämpfe hervorrufen. Die Entwicklung solcher Medikamente mit geringeren Nebenwirkungen ist also durchaus möglich“, sagt Pospisilik.
Außerdem entdeckten die Wissenschaftler, dass die Fettzellen deutlich mehr Glukose aufnehmen können – unabhängig von Insulin. Glukose-Toleranztests an Mäusen bestätigten den Befund. Dabei wird den Tieren eine festgelegte Menge Glukose über die Nahrung verabreicht und danach die Glukosekonzentration im Blut gemessen. Mäuse, die zuvor mit dem klassischen Hedgehog-Hemmer Cyclopamin behandelt wurden, hatten demnach weniger Glukose im Blut als unbehandelte Tiere. Offenbar erhöht Cyclopamin die Glukose-Aufnahme aber nur in braunem Fettgewebe und verschiedenen Muskelgewebe-Typen. So maßen die Forscher eine Erhöhung der Körpertemperatur um ein Grad – ein Zeichen verstärkter Aktivität von braunem Fettgewebe.
„Wirkstoffe, die nur den Smo-Kalzium-AMP-Kinase-Signalweg von Hedgehog aktivieren, sind also Kandidaten für Medikamente gegen Übergewicht sowie Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Ähnlich wie die unselektiven Hedgehog-Hemmer besitzen sie das Potenzial, Muskelkrämpfe hervorzurufen. Dank unserer Ergebnisse wissen wir nun, dass ein neuer Wirkstoff zuerst an Muskelzellen getestet werden muss, bevor er an Menschen zum Einsatz kommt“, sagt Harald Esterbauer von der Medizinischen Universität Wien.
HR