Einblicke in die dunkle Seite des Genoms
Forscher finden einen Weg zur Untersuchung redundanter Erbgut-Bereiche und erklären, wie Stammzellen ihr Genom schützen.
Beinahe die Hälfte unseres Erbguts besteht aus sich stark wiederholenden DNA-Sequenzen. Das macht es sehr schwierig, dessen Chromatin-Aufbau (DNA-Protein-Verbund) zu untersuchen. Meist werden diese Bereiche in genomweiten Studien ignoriert, weshalb Einblicke in diesen Teil des Erbguts bruchstückhaft bleiben. Jetzt ist es Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik (MPI-IE) in Freiburg gelungen, diese dunkle Seite des Erbguts zu untersuchen. Ihre Analysen zeigen, dass mit den repetitiven DNA-Sequenzen verbundenes Heterochromatin notwendig ist, um potentiell Genom-schädigende Elemente zu unterdrücken. Dieser Mechanismus hilft Stammzellen, ihr Erbgut zu schützen. Damit ermöglicht die Studie zukünftige genomweite Analysen repetitiver Bereiche.
Nur 1% des menschlichen Genoms enthält Protein-kodierende Informationen. 99% enthalten nicht-kodierende und repetitive DNA-Sequenzen. DNA-Helix Verpackungsproteine (Histone) bilden einen Verbund, der Chromatin genannt wird und maßgeblich an der Genregulation beteiligt ist. Es gibt zwei grundlegende Chromatin-Zustände: Euchromatin ist offen und zugänglich, so dass Gene aktiviert werden können. Heterochromatin dagegen ist geschlossen und unzugänglich, wodurch Gene abgeschaltet werden. Trotz großer Fortschritte in der Sequenziertechnologie blieb der repetitive Teil des Genoms aufgrund seiner Redundanz schwer zugänglich für Standardmethoden. Chromatinstruktur und Genom-Regulation solcher Bereiche zu verstehen ist jedoch wichtig, da diese potenziell gefährliche Gen-Abschnitte enthalten, so genannte (Retro-)Transposons. Transposons, auch ‚springende Gene’ genannt, sind mobile genetische Einheiten, die sich vermehren und an verschiedenen Stellen im Genom einbauen, was zu Gendefekten führen kann. Die Fehlregulation von (Retro-)Transposons ist ein Kennzeichen unterschiedlicher Krebsarten.
Forscher um Prof. Dr. Thomas Jenuwein, Direktor am MPI-IE, untersuchten in Maus-Stammzellen diese Bereiche des Erbguts anhand von Heterochromatin-Faktoren. Dazu kartierten sie im gesamten Genom, wo das Heterochromatin-bildenden Enzym ‚Histon-Methyltransferase Suv39h’ und sein katalytischen Produkt vorkommen. Suv39h, eines der wichtigsten Heterochromatin-bildenden Enzyme, hängt Methylgruppen an das Verpackungsprotein Histon-H3 (H3K9), ein wichtiger epigenetischer Mechanismus zum Abschalten von Genen. Verfeinerte bioinformatische Analysen identifizierten dann Heterochromatin, das mit repetitiven Einheiten assoziiert ist. „Schlüssel dieser Studie war die Entwicklung neuer bioinformatischer Methoden für die Analyse repetitiver Regionen“, sagt Jenuwein. „Das wurde erst durch die enge Zusammenarbeit von Labor-Wissenschaftlern und den Bioinformatikern um Thomas Manke möglich“, betont der Studienleiter.
Der neue Ansatz zeigt, dass mit repetitiven Einheiten assoziiertes Heterochromatin wesentlich zum Schutz des Genoms in Mausstammzellen beiträgt. Das Enzym Suv39h markiert demnach vorrangig Retrotransposons der LINE- und LTR-Gruppe. Überraschenderweise unterdrückt Suv39h spezifisch funktionsfähige, und damit potenziell gefährliche Elemente, obwohl diese gerade einmal 2% aller Retrotransposons ausmachen. Fehlte Suv39h, wurden nur diese Elemente verstärkt abgelesen. „Anfangs waren wir überrascht zu sehen, dass nur ein so kleiner Teil der repetitiven Einheiten auf die epigenetische Regulation reagiert“, erklärt Ko-Erstautor Dr. Inti De La Rosa-Velazquez. „Tatsächlich ergibt es aber durchaus Sinn, nur die potenziell gefährlichen Elemente zu regulieren. Jetzt interessiert uns der molekulare Mechanismus, der es Suv39h erlaubt, die aktiven Retrotransposons zu identifizieren.“
Zusätzlich zu Stammzellen untersuchten die Wissenschaftler auch repetitive Regionen in stärker differenzierten Zellen. In neuronalen Vorläuferzellen und in Bindegewebszellen hatten die Retrotransposons die Histonmethylierung verloren und wiesen stattdessen DNA-Methylierung auf, einen weiteren epigenetischen Mechanismus zum Abschalten von Genen. Dies lässt vermuten, dass Suv39h-abhängiges Abschalten von Retrotransposons für Stammzellen spezifisch ist. „Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass in differenzierten Zellen DNA-Methylierung der vorrangige Mechanismus für das Abschalten von Retrotransposons ist“, sagt Jenuwein. „In Stammzellen aber, wo die DNA-Methylierung stark reduziert ist, wurden Histon-basierte Mechanismen vermutet, die sicherstellen, dass die Retrotransposons ausgeschaltet sind. Mit unserer Arbeit an Suv39h haben wir jetzt einen solchen Weg identifiziert.“