Enzym hält „springende Gene“ in Schach

Das Enzym DHX9 macht die „Parasiten des Genoms“ unschädlich und verwandelt sie in einen evolutionären Vorteil

29. März 2017

Springende Gene sind ein zweischneidiges Schwert: Die sich selbst kopierenden und an anderer Stelle wieder ins Erbgut einfügenden DNA-Abschnitte können einerseits Krankheiten wie Hämophilie oder Brustkrebs auslösen. Anderseits begünstigen die auch Transposons genannten Sequenzen die Entstehung neuer Gene und erhöhen so die genetische Vielfalt die Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik haben in Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg nun zeigen können, dass ein Enzym namens DHX9 schädliche Strukturen neutralisieren kann, die durch Transposons hervorgerufen werden. Es erhöht damit zugleich die Toleranz des Genoms, springende Gene zu integrieren. Mit der Kenntnis der Funktionsweise von DHX9 ließen sich möglicherweise neue Therapien für Erbkrankheiten entwickeln, ohne dass der evolutionäre Vorteil springender Gene verloren ginge.

Die menschlichen Gene sind mit zahlreichen DNA-Sequenzen durchsetzt, die als „springende Gene“ bekannt sind. Ohne das Enzym DHX9 wechselwirken diese Elemente miteinander und bilden riesige, verknotete Strukturen (Wollknäuel links), die in der Zelle nur schwerlich weiterverarbeitet werden können. DHX9 entwirrt das Chaos und schafft ordentliche und nutzbare mRNA (dargestellt als Faden), die anschließend verwendet wird, um Proteine herzustellen (Strickmuster).

Lange Zeit hat sich die Molekularbiologie fast ausschließlich auf einen sehr kleinen Teil der DNA konzentriert, der die Baupläne für Proteine enthält. Der nicht-proteinkodierende und somit scheinbar funktionslose Rest, beim Menschen immerhin 97 Prozent, galt als Schrott-DNA. Doch was zunächst als Schrott geächtet wurde, entpuppte sich im Laufe der Zeit als wichtige genetische Schaltzentrale, die reguliert, wo und wieviel Protein hergestellt werden soll. Ein noch genauerer Blick in diesen Teil der DNA offenbart, dass dieser Heimat für weitere Mitspieler im Genom ist. Dazu zählen auch die sogenannten Transposons oder, besser bekannt,  „springenden Gene“. Springende Gene sind DNA-Sequenzen, die ihre Position im Genom verändern können. Sie sind in der Lage, sich selbst zu kopieren und in andere teilweise weit entfernte Abschnitte der DNA „hineinzuspringen“.

„In unserer Studie beschäftigen wir uns mit Alu-Sequenzen. Das ist eine Familie von menschlichen Transposons, die mit über einer Million Exemplaren mehr als zehn Prozent unseres gesamten Genoms ausmachen“, sagt Tuğçe Aktaş, Co-Erstautorin der Studie. Um sich selbst zu kopieren, werden Alu-Sequenzen in RNA transkribiert, die anschließend in DNA zurückverwandelt wird. Diese DNA-Kopie wird an einer neuen Position in das Genom eingebaut. Wieder eingeflochten, haben Alu-Sequenzen eine Vielzahl von Auswirkungen auf das Genom. „Je nachdem wo sie wieder in den genetischen Code integriert werden, können Alu-Sequenzen problematische Mutationen hervorrufen, vor allem wenn sie auf wichtige Gene springen. Sie werden mit vielen genetischen Erkrankungen in Verbindung gebracht, wie etwa der Bluterkrankheit, Brustkrebs oder der familiären Hypercholesterinämie, so dass wir davon ausgehen, dass unsere Erkenntnisse auch von großem therapeutischen Nutzen sein können“, sagt İbrahim Avşar Ilık, Co-Erstautor der Studie.

Die Rolle springender Gene in der Evolution

Alu-Sequenzen werden oft als „Eindringlinge“ oder „Parasiten“ bezeichnet, die die Stabilität des Genoms beeinträchtigen. Zugleich sind sie aber auch ein wichtiges Element in der Evolution. Vergleichende Studien zwischen Mensch und Primat konnten zeigen, dass in den letzten sechs Millionen Jahren mehr als fünftausend Alu-Sequenzen neu in das menschliche Genom eingefügt wurden. Wissenschaftler sprechen deswegen von den Alu-Sequenzen als „kreative Zerstörer“, die Teile des Genoms in funktionale Stücke zergliedern, diese kopieren, so dass sie anschließend an anderer Stelle wiederverwendet können. So erhöht das gleichzeitige Modifizieren der DNA mit mehr als einer Million diese DNA-Schnipsel die Möglichkeit, neue Gene zu schaffen, die eine schnellere Anpassung an die Umwelt erlauben.

„Vor diesem Hintergrund fragten wir uns, wie unser Genom mit diesem beständigen Kopiervorgang zurechtkommt und dabei ernsthafte Bedrohungen seiner eigenen Stabilität vermeidet. Unsere Entdeckung, dass das Enzym DHX9 schädliche RNA-Strukturen neutralisiert, die während dieses Kopierprozess entstehen, ist enorm spannend. Es eröffnet einen ganz neuen Blickwinkel auf die komplexe Biologie, die sich hinter dieser reichhaltig in der Zelle vorkommenden RNA-Helikase DHX9 verbirgt“, sagt Asifa Akhtar, Max-Planck-Direktorin und Leiterin der Studie.

Entwirrspiel im Genom

Das Enzym besitzt die Fähigkeit, die Doppelstränge von DNA und RNA zu öffnen und spielt eine zentrale Rolle in vielen Prozessen in der Zelle wie etwa während der DNA-Replikation, Transkription oder auch der Verarbeitung von RNA. Das Akhtar-Team konnte nun in Zusammenarbeit mit Daniel Maticzka und Rolf Backofen von der Forschungsgruppe für Bioinformatik der Universität Freiburg zeigen, dass DHX9 bei Mäusen und Menschen schädliche RNA-Strukturen aufspürt und beseitigt, die durch zu dicht aneinanderliegende Alu-Sequenzen hervorgerufen werden. „Wenn der Abstand zwischen Alu-Sequenzen in unserem Genom nicht groß genug ist, interagieren diese miteinander und bilden riesige, verknotete RNA-Stücke“, sagt İbrahim Avşar Ilık. Diese miteinander verhedderten RNA-Strukturen können fatale Folgen haben, da wesentliche RNA-Signale, die zur korrekten Weiterverarbeitung benötigt werden, nicht richtig arbeiten können. DHX9 löst letztlich die Verknotung und übergibt die RNA zur Weiterverarbeitung. „Ohne DHX9 verwandelt sich unsere RNA in verknotetes Garn, das in diesem Form unbrauchbar ist zum Stricken“, erläutert Tuğçe Aktaş.

Die Studie konnte auch zeigen, dass DHX9 diese »Entwirrungsarbeit« nicht gänzlich alleine vollführt, sondern zusammen mit einem weiteren Enzym namens ADAR. Von diesem ist bekannt, dass es verknotete RNA-Strukturen in der Zelle entwirrt, die vor allem während Virusinfektionen auftreten. „Wir vermuten, dass dieses Aufräumkommando ursprünglich entwickelt wurde, um gegen virale Infektionen zu kämpfen. Später jedoch wurden den Enzymen und ihren Fähigkeiten neue Aufgaben zugewiesen –  und zwar in Zellen, die gerade nicht gegen eine Virusinfektion kämpfen, sondern mit den Auswirkungen einer Vielzahl springender Gene umgehen müssen“, erklärt Asifa Akhtar die evolutionären Implikationen der gefundenen Daten.

Die Freiburger Forscher vom Max-Planck-Institut und der Universität vermuten, dass DHX9 die Integration einer Vielzahl von Alu-Sequenzen in unser Genom ermöglicht, indem es einfach den schädlichen Folgen von zu vielen nebeneinander positionierten Alu-Sequenzen im DNA-Code entgegenwirkt. Auch wenn zunächst das Mitführen so vieler springender und auch potentiell störender Genschnipsel wie eine Verschwendung zellulären Ressourcen auszusehen scheint, zahlt sich dies auf lange Sicht für den Organismus aus. Er erhält genomische Innovationen, die andernfalls unmöglich gewesen wären. Mit anderen Worten, was in unserem Genom lange Zeit  als Schrott oder Verschwendung erachtet wurde, war nie wirklich eine Verschwendung, es ist im Prinzip ein langer, wertvoller Weg zu mehr Komplexität.

MR/HR

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