Kartierung des Stoffwechsels der Blutstammzellen
Wie Nährstoffe und Lipide die Gesundheit der Blutstammzellen bei Alterung und
Leukämie verändern
Forschende des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und der ETH Zürich haben erstmals eine integrierte Übersicht geschaffen, die die metabolischen und molekularen Veränderungen in menschlichen Blutstammzellen kartieren, die sich während der Zellspezialisierung, des Alters oder bei Krebserkrankungen zeigen. Mithilfe hoch-empfindlicher Low-Input-Techniken gelang es ihnen zudem, den Nährstoff Cholin als wichtigen Faktor zu identifizieren, der für die Erhaltung jugendlicher Stammzelleigenschaften verantwortlich ist. Die Daten bietet erstmals umfassende Einblicke darauf, was bei Gesundheit und Krankheit in Blutstammzellen auf Ebene des Stoffwechsels geschieht und somit ein wichtiges Fundament, um zukünftig neue Wege für ernährungsbezogene, therapeutische Maßnahmen zur Gesunderhaltung des Blutsystems zu entwickeln.

Auf den Punkt
- Erste umfassende Stoffwechselkarte von Blutstammzellen: Die Studie präsentiert die erste integrierte „Karte“ der metabolischen und molekularen Veränderungen in menschlichen Blutstammzellen während der Zellspezialisierung, beim Altern oder bei Leukämie. Sie liefert wichtige Erkenntnisse darüber, wie Stammzellen ihre Regenerationsfähigkeit verlieren oder bewahren.
- Cholin als potenzieller Stammzell-Booster: Das Nährstoffmolekül Cholin kommt in gesunden Stammzellen reichlich vor, nimmt jedoch bei Differenzierung, Altern und Leukämie ab. Im Labor half die Gabe von Cholin, um jugendliche Eigenschaften von Stammzellen wiederherzustellen, was auf potentielle Ernährungsstrategien zur Unterstützung der Stammzellgesundheit hindeutet.
- Neue Therapieansätze für die Zukunft: Die Veränderungen in der Lipid-Zusammensetzung in Stammzellen legen nahe, dass alternde und spezialisierte Stammzellen ihre Wahrnehmung und Reaktion auf die Umwelt verändern könnten. Dies eröffnet neue Forschungsrichtungen, die untersuchen, wie der Stoffwechsel die Membranfunktion, die Zellkommunikation und das Schicksal von Stammzellen prägt.
Hämatopoetische Stammzellen (HSZ) sind seltene Zellen, die tief im Knochenmark verborgen liegen. Sie besitzen die einzigartige Fähigkeit, sämtliche Typen von Blutzellen zu erzeugen – von roten Blutkörperchen, die Sauerstoff transportieren, bis hin zu Immunzellen, die Infektionen und Krebs bekämpfen. Die Blutstammzellen sind somit essenziell für unsere Gesundheit. Mit dem Alter oder bei Erkrankungen wie Leukämie kann ihre außergewöhnliche Regenerationsfähigkeit jedoch nachlassen oder gestört werden, wodurch das Blut- und Immunsystem insbesondere unter Stressbedingungen angreifbar wird.
Doch wie verändern sich Blutstammzellen im Laufe des Lebens oder bei Krankheit? Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und der ETH Zürich bietet nun erstmals einen integrierten Blick auf den Zellstoffwechsel und die molekularen Programme dieser seltenen Zellen. Die Studie zeigt, wie sich diese Eigenschaften bei der Zellspezialisierung, während Altern oder durch Krebserkrankungen verändern.
Kombination hochsensibler „Low-Input”-Methoden
Die Untersuchung dieses Zelltyps ist äußerst anspruchsvoll. Bislang war ein genaueres Bild des Stoffwechselprofils der Stammzellen wegen ihrer Seltenheit und der begrenzten Verfügbarkeit menschlicher Knochenmarksspenden enorm herausfordernd. „Um dies zu ändern, entwickelten wir hochsensible Messtechniken, mit denen sich aussagekräftige Stoffwechseldaten aus einer extrem kleinen Zellzahl gewinnen lassen. So konnten wir Hunderte von Metaboliten und Lipiden mit weitaus weniger Zellen messen, als bei herkömmlichen Verfahren erforderlich sind”, sagt Maria-Eleni Lalioti, eine der beiden Erstautorinnen der Studie.

Durch die Integration der gewonnenen Stoffwechseldaten mit den Genexpressionsprofilen der Zellen erstellte das Team eine umfassende „Karte“ der chemischen Prozesse und der Genaktivität in den Zellen. So konnten sie nachvollziehen, wie sich Blutstammzellen in verschiedenen Stadien von Gesundheit, Alterung und Krankheit verändern. „Wir fanden beispielsweise heraus, dass menschliche Stammzellen metabolisch weniger aktiv sind als ihre schon spezialisierten Nachkommen. Wir finden in ihnen weniger Metaboliten, die für die Energiegewinnung, den Zellaufbau und die Aminosäuresynthese benötigt werden. Das passt dazu, dass Stammzellen meist in einem Ruhezustand verbleiben, um sich und ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zu schützen“, erklärt Max-Planck Gruppenleiterin und ETH-Professorin Nina Cabezas-Wallscheid.
Der Stammzell-Booster
Die bislang bemerkenswerteste Entdeckung in den Daten betrifft Cholin, ein essentieller Nährstoff, der beispielsweise in Eiern, Sojabohnen und Fisch enthalten ist. Gesunde Stammzellen wiesen einen hohen Cholinspiegel auf, der mit zunehmender Spezialisierung der Zellen abnahm und mit zunehmendem Alter und bei Leukämie weiter sank. „Unsere Laborexperimente zeigten, dass eine Cholin-Supplementierung die Lipidproduktion anregt und den Zellen dabei hilft, einen jugendlichen, stammzellähnlichen Zustand zu bewahren. Das deutet darauf hin, dass bestimmte Nährstoffe für die Aufrechterhaltung der Stammzellfunktion entscheidend sind“, sagt die Co-Erstautorin Mari Carmen Romero-Mulero.
Die Daten zeigten zudem, dass sich die Lipidzusammensetzung der Blutstammzellen verändert. Dies hat Auswirkungen auf ihre Membranstruktur und somit auch darauf, wie die Zellen ihre Umgebung wahrnehmen und darauf reagieren. „Diese Erkenntnisse eröffnen neue Wege, um zu erforschen, wie der Stoffwechsel nicht nur das innere Zellgeschehen, sondern auch die Interaktion mit der Umgebung beeinflusst“, sagt Co-Autor Jörg Büscher.
Die Studie zeigt eindeutig, dass menschliche Blutstammzellen grundlegende metabolische Veränderungen durchlaufen, wenn sie sich differenzieren, altern oder erkranken. Diese Veränderungen können sowohl die Identität als auch das Verhalten der Zellen erheblich beeinflussen. „Das wirft spannende Fragen auf: Kann gezielte Ernährung die Gesundheit von Stammzellen erhalten? Und inwieweit könnten metabolische Interventionen, ich denke da an Ernährung oder gezielte Supplementierung von Nährstoffen, Leukämie-Behandlungen unterstützen oder gesundes Altern fördern?“, so Nina Cabezas-Wallscheid.
Die Daten aus dem Labor von Cabezas-Wallscheid stellen eine umfassende Quelle für die weitere Forschung in diesem Bereich dar. Indem sie aufzeigen, wie der Stoffwechsel das Schicksal menschlicher Blutstammzellen beeinflusst, legt diese Studie den Grundstein für künftige Therapien zur Erhaltung der Stammzellfunktion – und damit vielleicht auch für ein länger gesundes Blutsystem.
NCW/MR