Tierversuche in der Grundlagenforschung

„Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“

Was ist Grundlagenforschung?

Grundlagenforschung wird oft als „Neugierforschung“ beschrieben. Sie diene nur der Befriedigung wissenschaftlicher Neugier und werde aus reinem Selbstzweck betrieben, um Erkenntnisse und Wissen zu erlangen. Ein konkreter Nutzen entstehe nicht. Auf ähnliche Weise wird auch die biomedizinische Grundlagenforschung als eine „zweckfreie Forschung“ dargestellt, insofern nicht unmittelbar Krankheiten und Patientinnen in den Blick genommen und auch nicht der konkrete Zweck mit den Forschungsbemühungen verfolgt wird, in Medikamente oder Therapien zu münden.

Vor diesem Hintergrund steht die biomedizische Grundlagenforschung oft in der Kritik, wenn sie Tierversuche nutzt. Denn den Tieren im Rahmen der Versuche Schmerzen und Schäden zuzufügen oder sie zu töten, stellt vorwiegend erkenntnisorientierte Experimente ohne ein unmittelbar erkennbares Anwendungspotential vor Rechtfertigungsprobleme.

Natürlich ist es richtig ist, dass in den Ergebnissen der Grundlagenforschung nur selten sofort ein direkter praktischer Nutzen erkennbar ist. Aber ist ein Experiment nur nützlich, wenn es unmittelbar die Entwicklung einer medizinischen Anwendung zur Folge hat? Ist es den nicht auch ein zentraler Wert, grundlegendes und bislang unbekanntes Wissen über die Natur zu schaffen und stellt dies dann nicht auch einen vertretbaren Grund dar, auch mit Tier zu forschen? Denn gerade darin kommt der erkenntnisorientierten Forschung große Bedeutung zu. Die Grundlagenforschung bereitet den Boden, so die Überzegung der Max-Planck-Gesellschaft, auf dem später weitere Erkenntnisse und vielleicht konkrete Anwendungen entstehen können.

Die biomedizinische Grundlagenforschung etwa erforscht biologische Prozesse, indem sie das Zusammenspiel von Molekülen, Zellen und Organen studiert. Dabei ist sie auf die Entwicklung von allgemeinen Theorien und Aussagen sowie auf die Formulierung grundlegender Zusammenhängen ausgerichtet, mit der sie die biologischen Prozesse und Phänomene erklären und verstehen will. Mit diesen Forschungsbemühungen ist das schwierige und oft langwierige Unterfangen verbunden, tatsächlich neue Erkenntnisse über biologische Zusammenhänge zu erlangen und nicht nur bereits bekanntes Wissen auf die Lösung eines praktischen Problems anzuwenden. Genau auf diese weise liefert Grundlagenforschung, auch mit Tierversuchen, wichtige Beiträge zum Verständnis wissenschaftlicher Zusammenhänge und mittelbar auch zur Entwicklung neuer Therapien für Mensch und Tier.

Von der Entdeckung zur Therapie

Dass zum Teil zahlreiche Forschergenerationen mit unzähligen und thematisch sehr breit aufgestellten Studien notwendig sind, um neue Medikamente und Therapien zu entwickeln, ist schon vielfach nachgewiesen worden. Zum Beispiel zeigen Robert S. Williams und Kollegen in einer 2015 veröffentlichten Studie, dass es 104 Jahre und insgesamt die Arbeiten von mehr als 7000 Wissenschaftlern benötigte, um das wichtige Krebsmedikament Ipilimumab zu entwickeln. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Mukoviszidosemedikament Ivacaftor. 355 Studien von 33 Wissenschaftlern in einem Veröffentlichungszeitraum vom etwa 47 Jahren waren notwendig, um das Medikament letztlich zu entwickeln. Wobei auch hier durch die Analyse der Zitationen und Verweise gezeigt werden konnte, dass insgesamt das Wissen aus Studien von über 2900 Forscher:innen eingeflossen ist. Auch die mRNA-Impfstoffe gegen das Corona-Virus sind nicht das Ergebnis weniger Studien, sondern Folge einer breiten Wissensbasis aus Immunbiologie, Biochemie und zahlreicher Entdeckungen auch aus der Grundlagenforschung.

Weitere Beispiele für zunächst zweckfreie und scheinbar nutzlose Forschungsbemühungen, die später dann sehr wichtig für die Menschheit wurden.

Der Wert der Grundlagenforschung besteht also unter anderem darin, dass sie in vielen Fällen erst das Fundament von Erkenntnissen schafft, das zukünftigen Nutzen ermöglicht. Oftmals sind einzelne Studien kleine Wissensbruchstücke, die von anderen aufgegriffen oder als Anregung genutzt werden, um später von zunächst rein wissenschaflichen auch medizinischen und letztlich in gesellschaftlichen Nutzen überzugehen. Die Entdeckung der Antibiotika, Impfstoffe etwa gegen Kinderlähmung (Polio), Insulin oder auch Krebsmedikamente sind nur die prominentesten Beispiele für viele Entdeckungen und Forschungergebnisse, durch die tagtäglich Millionen von Patientinnen und Patienten profitieren und die die Lebensqualität der Menschheit entscheidend verbessert haben. Diese Überlegung zum hohen Wert der erkenntnisorientierten Forschung sind auch der Grund, warum Tierversuche für die Grundlagenforschung im deutschen Tierschutzrecht (nach Durchlaufen eines gesetzlichen Genehmigungsverfahrens für jeden einzelnen Versuch) grundsätzlich erlaubt sind.

Cover der Grundsatzerklärung der MPG zu Tierversuchen
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